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Risiko für Versicherer steigt

(BaFinJournal) Fluten, Waldbrände und Stürme dürften künftig öfter vorkommen. Und sie könnten noch stärkere Schäden verursachen. Können die Versicherer das Risiko tragen? Von Robert Ganz, Dr. Marco Henkel, Jörg Müller, Max Schuppelius und Dr. Filip Uzelac-Schüler, BaFin-Versicherungsaufsicht

Im Sommer 2021 richtete ein Starkregentief im Westen Deutschlands verheerende Schäden an und kostete viele Menschen das Leben. Die globale Erwärmung dürfte Expertinnen und Experten zufolge künftig zu vermehrten Wetterextremen führen. Anders gesagt: Das Naturkatastrophenrisiko steigt. Die deutschen Erst- und Rückversicherer können sich gegen die bei Naturkatastrophen gehäuft auftretenden Schäden, die sogenannten Kumulschäden, absichern. Das zeigt eine aktuelle Befragung der Finanzaufsicht BaFin. Allerdings steigen die Kosten für den Rückversicherungsschutz und die Preise für die Versicherungsnehmer- und nehmerinnen.

Für ihre Analyse hat die BaFin 176 Erst- und Rückversicherer befragt, die einem Naturkatastrophenrisiko aus Versicherungsverträgen ausgesetzt sind. Sie analysierte unter anderem die Rückversicherungsstruktur sowie den Einfluss des Starkregentiefs im Sommer 2021 auf das Pricing. Zudem betrachtete die Finanzaufsicht, ob die Bewertungen für Naturkatastrophenrisiken in den Verfahren, die Versicherer für die Berechnung der aufsichtsrechtlichen Solvabilitätskapitalanforderung nutzen, noch angemessen sind.

Zu diesen Verfahren zählen die vorgegebene Solvency-II-Standardformel und die von den Versicherern entwickelten (partiellen) internen Modelle. Die BaFin prüfte darüber hinaus, inwieweit die Unternehmen diese Risiken quantitativ und qualitativ in der unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (Own Risk and Solvency Assessment – ORSA) betrachten.

 

Auf einen Blick

Belastungen aus dem Starkregentief „Bernd“ im Sommer 2021 weiter gestiegen

Die Rückmeldungen der Versicherer zu den Schäden des Starkregentiefs im Sommer 2021 zeigen einen weiteren Anstieg der Schadenaufwände.

Für Erstversicherer stiegen die Bruttobelastungen (ohne Berücksichtigung der Rückversicherung) gegenüber der Abfrage aus dem Jahr 2021 von ca. 8,2 auf rund 9,4 Milliarden Euro. Netto (nach Berücksichtigung der Rückversicherung) legten sie von ca. 1,9 auf rund 2,4 Milliarden Euro zu.

Für Rückversicherer stiegen die Bruttobelastungen von ca. 4,1 auf rund 4,8 Milliarden Euro, netto von ca. 0,9 auf rund 1,1 Milliarden Euro. Gründe für die Anstiege sind vor allem die Komplexität der Schäden und die Inflation.

 

Die Befragung zeigt: Erstversicherer und Rückversicherer stuften ihre passive Rückversicherungsstruktur, unter anderem im Hinblick auf die beim Starkregentief 2021 regional gehäuft aufgetretenen Schäden, bis auf wenige Ausnahmen als angemessen ein. Zugleich hat ein wesentlicher Teil der Erst- und Rückversicherer seine Rückversicherungsstruktur angepasst bzw. plant eine Anpassung, um vor allem bei Kumulschäden einen höheren Rückversicherungsschutz zu erreichen.

Die Kosten des Rückversicherungsschutzes für Erst- und Rückversicherer sind deutlich gestiegen: um 20 bis mehr als 70 Prozent. Verantwortlich waren die höhere Nachfrage nach Rückversicherungsschutz, insbesondere nach Flutdeckungen, der gleichzeitige vereinzelte Rückzug von Rückversicherern aus speziellen Naturkatastrophen-Deckungen und die Inflation. Für Rückversicherer stiegen die Kosten des Rückversicherungsschutzes etwas geringer als für Erstversicherer.

Viele Erstversicherer gaben an, dass sie in den betroffenen Versicherungszweigen die Preise erhöht haben oder dies planen, da die Prämien im Hinblick auf die künftige Schadenerwartung sowie die gestiegenen Kosten für den Rückversicherungsschutz nicht ausreichend sind. Die Versicherer sind in allen Versicherungszweigen aufsichtlich angehalten, risikogerechte Tarife zu verlangen. Das kann dann in der Konsequenz mit höheren Prämien für die Kundinnen und Kunden verbunden sein. Die bisherigen bzw. geplanten Preiserhöhungen fallen jedoch geringer aus als die beschriebenen Kostensteigerungen für den Rückversicherungsschutz.

Alles in allem zeigen die Rückmeldungen der befragten Versicherer: Im Erst- und Rückversicherungsmarkt bestehen genügend Kapazitäten, um sich gegenüber den bei Naturkatastrophen gehäuft auftretenden Schäden abzusichern – sofern die gestiegenen Preise akzeptiert und finanziert werden.

Standardformel: Vorzuhaltendes Risikokapital auf Gesamtmarkt-Ebene ausreichend

Die BaFin-Analyse verdeutlicht außerdem: Auf Gesamtmarkt-Ebene war das gemäß Standardformel vorzuhaltende Risikokapital ausreichend. Bei einigen wenigen Versicherern jedoch lag der Nettoschadenaufwand oberhalb des vorzuhaltenden Risikokapitals. Der zum Stichtag 31. Dezember 2020 für den Gesamtmarkt der Standardformelversicherer geschätzte 1-in-200-Jahres-Bruttoschaden (dieser Schaden sollte sich statistisch betrachtet höchstens einmal in 200 Jahren ereignen; er ist für die Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung ausschlaggebend), lag bei fast 16 Milliarden Euro. Damit war er mehr als doppelt so hoch wie der tatsächliche Bruttoschaden aus dem Starkregentief 2021. Für Erst- und Rückversicherer (Standardformel-Anwender) lag dieser bei knapp sieben Milliarden Euro.

Das obige Ergebnis wird auch auf Ebene der einzelnen Unternehmen bestätigt. Die meisten der von der Flutkatastrophe betroffenen Versicherer hatten (Netto-) Schadenaufwände, die unterhalb der regulatorisch vorzuhaltenden Kapitalanforderung für den 1-in-200-Jahresschaden für das Überschwemmungsrisiko lagen – teilweise sogar deutlich. Ein Grund: Viele Unternehmen verfügen in Deutschland über ein geografisch sehr gut diversifiziertes Versicherungsportfolio. Das ist eine sehr wichtige Voraussetzung dafür, damit die Standardformel Naturkatastrophenrisiken angemessen abbilden kann.

Es gab allerdings einzelne betroffene Versicherer, bei denen das Gegenteil der Fall war: Bei diesen lag der geschätzte (Netto-) Schadenaufwand aus dem Starkregentief 2021 über der regulatorischen Kapitalanforderung für das Überschwemmungsrisiko. Diese Versicherer weisen ein zum Teil regional konzentrierteres Portfolio auf – und damit eine zu geringe geografische Diversifikation. Für sie ist eine wichtige implizite Annahme der Standardformel potenziell nicht erfüllt und die Ausführungen in dem folgenden Abschnitt sind besonders zu beachten.

Standardformelversicherer im ORSA: eigenes Naturgefahrenmodell weit verbreitet

Mehr als 40 Prozent der Nicht-Leben-Versicherer, die die Standardformel nutzen, verwenden im ORSA ein eigenes Naturgefahrenmodell, um Naturkatastrophenrisiken risikosensitiv zu erfassen. Das Modell setzen sie auch in der Unternehmenssteuerung ein.

Die Aufsicht wird sich künftig stärker mit unternehmensindividuellen Naturgefahrenmodellen im ORSA auseinandersetzen. Ziel ist es sicherzustellen, dass die Unternehmen ihre Naturkatastrophenrisiken angemessen steuern. Grundsätzlich gilt: Alle Standardformel-Anwender müssen im ORSA-Prozess prüfen, ob und inwieweit die Risikobewertungen der Standardformel für sie passend sind. Das trifft besonders auf Versicherer mit geringer geografischer Diversifikation zu.

Die Aufsicht erwartet, dass betroffene Versicherer möglichst durch ein eigenes, geeignet kalibriertes Naturgefahrenmodell das Naturgefahrenrisiko untersuchen, um mögliche Abweichungen zur Standardformel zu identifizieren. Sollten die Annahmen der Standardformel signifikant von der Bewertung des tatsächlichen individuellen Risikos abweichen, müssen Versicherer tätig werden. Denn die regulatorisch vorzuhaltende Kapitalanforderung muss dem tatsächlichen Risiko entsprechen.

Optionen zur Risikoreduzierung

Mögliche Maßnahmen für Versicherer sind dann, die geografische Diversifikation oder Produktvielfalt zu erhöhen oder ggf. auch ein (partielles) internes Modell zu verwenden. Daneben hat der Versicherer noch die Möglichkeit, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um das eigene Risiko zu senken. Er kann beispielsweise die Rückversicherungsstruktur anpassen.

Gelingt es dem Unternehmen nicht, die signifikante Abweichung zwischen Standardformel und tatsächlichem Risiko zu reduzieren, kann die BaFin Risikokapitalaufschläge verhängen. Möglich macht dies § 301 Absatz 1 Nr. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz in Verbindung mit Artikel 279 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35 der Europäischen Kommission.

Insbesondere angesichts des Klimawandels und der vermehrten (lokalen) Naturkatastrophenereignisse ist es erforderlich, die Standardformel für alle Naturkatastrophenrisiken in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Die anstehende Änderung der Solvency-II-Rahmenrichtlinie sieht dies alle fünf Jahre vor.

Interne Modelle für Naturkatastrophenrisiko Flut

Die BaFin hat zudem für Anwender eines internen Modells die Abbildung des Naturkatastrophenrisikos „Flut Deutschland“ vor dem Hintergrund des Starkregentiefs im Sommer 2021 untersucht. Die Unternehmen mussten dafür ihr Modell darstellen, das sie damals verwendet hatten. Sie waren aufgerufen, dessen Stärken und Schwächen aufzuzeigen und über Modelländerungen zu berichten, die sie als erforderlich betrachteten oder bereits umgesetzt hatten. Darüber hinaus sollten sie ausgewählte Risikokennzahlen aus dem Modell liefern und Risiko- und Schadentrends bewerten – insbesondere auch solche, die der Kategorie „vom Menschen verursachter Klimawandel“ zuzuordnen sind.

Das Ergebnis: An der grundsätzlichen Eignung der Modelle ändert das Starkregentief nichts. Das beobachtete Schadenpotenzial war in allen verwendeten Modellen abgedeckt. Die Schäden aus Starkregenereignissen können in den unterschiedlichen verwendeten Modellen als grundsätzlich ausreichend berücksichtigt betrachtet werden. Dabei erkennen die Versicherer an, dass Modellierungsansätze, welche die Wirkungsweise von Niederschlagsereignissen detailliert abbilden, dem aktuellen Stand der Technik entsprechen.

Dennoch sehen die Unternehmen bei einzelnen im Zuge des Starkregentiefs beobachteten Charakteristika Potenzial für eine Weiterentwicklung. So seien Modelle zu verfeinern, beispielsweise bei der Abbildung von Flutwellen mit hohen Fließgeschwindigkeiten, die sich in engen Flusstälern in kurzer Zeit aufbauen können.

Die BaFin erwartet von allen Versicherern, dass sie ihr Modell regelmäßig überprüfen und dabei die eigenen Validierungsrichtlinien uneingeschränkt einhalten. Sie müssen eingehender darlegen, dass der im Modell abgebildete Klimazustand aktuell ist. Bei einigen Unternehmen besteht hierzu weiterer Gesprächsbedarf.

 

Quelle: BaFin vom 21.05.2024

 

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